Wie der Nachbar fast First Husband geworden wäre

///Berliner Morgenpost

Eigentlich bin ich froh, daß er es nicht geworden ist – Carlo, mein Nachbar. Es war ja wirklich die Rede davon, daß er womöglich “First Husband” wird, also der erste Ehemann im Staate. Freilich, den repräsentativen Pflichten, die sich aus dieser Rolle ergeben, wäre mein Nachbar gewachsen gewesen. Kindergärten besuchen, Brücken einweihen, auf Parteitagen der Geliebten Beifall spenden. “Aber ich würde niemals weinen!” [:]

Allerdings hätten die beiden dafür wenigstens irgendwie heiraten müssen. Seit zwölf Jahren kennen und lieben sie sich, was keinen etwas angeht. Jedenfalls werden in der Demokratie Ämter immer nur auf Zeit vergeben, sozusagen für eine Legislaturperiode, vielleicht auch zwei – aber nicht auf Dauer. Muß man deswegen also gleich in den ewigen Bund der Ehe treten?! Darauf wäre es ja wohl hinausgelaufen. Welche Spitzenpolitikerin lebt denn heute noch in “wilden” Verhältnissen? Früher oder später hätte seine Geliebte ihn bedrängt, er möge doch mitkommen, damit beide sich für ihre Liebe endlich einen Schein vom Staat holen. Wo doch Madam jetzt an der Spitze eines solchen steht . . . – Doch wie gesagt, soweit ist es nicht gekommen.

Der Mann hat ja keine Ahnung. Allein schon der Streß mit den Medien: Die vom Fernsehen hätten unsere Straße belagert. Jeder der hier am Teutoburger Platz wohnt, womöglich auch ich, wäre befragt worden, wie es sich denn lebt, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer solch prominenten Person.

Mein Nachbar aber ist nicht nur Person, er ist Persönlichkeit. Von kräftiger Statur, mit Vollbart und Nickelbrille, ist sein Wesen von einer fröhlichen Ernsthaftigkeit getragen. Die ihn kennen, sagen, daß er nie zornig wird, selbst wenn er wütend ist. Carlo ist Philosoph, und ein promovierter dazu. Außerdem war er früher selber bezahlter Politiker, saß für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Und ganz früher hätte er einmal womöglich Minister werden können, wenn mein Nachbar nur gewollt hätte: Minister ohne Geschäftsbereich, für ein paar Monate in der Modrow-Regierung.

So was aber würde niemand wissen wollen. Die Journalisten hätten meinen Nachbarn einzig auf seine Frau reduziert. Hinter vorgehaltener Hand hätte es geheißen: “Nicht sie, sondern er soll ja immer kochen und waschen.” – “Nein, Kinder sind wohl keine da.” – “Die Frau hat sich halt für die Karriere entschieden.” – “Sie ist ja auch selten bei ihm.”

Dabei ist sie ja wirklich eine tolle Frau. Ein- oder zweimal bin ich ihr begegnet. Zu seinem Geburtstag war das und dann noch einmal später. Ich glaube, beim Geburtstag darauf. Privat sind Politiker ganz anders, viel entspannter. Und auch meines Nachbars Freundin ist nicht so, wie man sich Staatsmänner gemeinhin vorstellt. Sie ist attraktiv, eloquent, charmant und vielsprachig.

Daß seine Freundin erheblich mehr Gehalt bezogen hätte als er, wäre wohl nicht das Problem gewesen. Von den alten, überkommenen Moralvorstellungen, diesen stereotyp-patriarchalischen Geschlechterrollen, wonach es immer der Mann sein müsse, der das Geld nach Hause bringt, haben sich beide zum Glück emanzipiert. Nur hätte im Falle eines Falles – der aber wie gesagt, nun doch nicht eingetreten ist – mein Nachbar zu seiner Freundin oder Angetrauten ziehen müssen, weit weg, in irgendeine dieser abgelegenen polizeibewachten Villen. Keinen Schritt hätte er mehr gehen können, ohne Leibwächter. Und Menschen, die auf Schritt und Tritt bewacht werden, verändern sich. Wir wären einander fremd geworden.

Da ist es doch gut, daß die Dinge bleiben wie sie sind. Carlo ist nicht erster Ehemann im Staate geworden. Und ich kann ihn weiter jederzeit besuchen, an seiner Tür klingeln …

“Hallo”, sagt er dann immer. “Komm doch herein. Hast du Hunger?”

Gastfreundschaft ist ihm heilig, und ich will ihn ja auch nicht kränken. Auch wenn es zum Abendbrot immer nur Hausmannskost gibt, so ist diese doch jedes Mal ein Genuß. Carlo räuchert selbst, auf seinem Brandenburger “Landsitz”. Sein Speck ist ein Gedicht, genauso die geräucherte Leberwurst. Dann reden wir über alte Zeiten, über neue Zeiten und freilich über die Zukunft. Natürlich haben wir auch, als es noch ein Thema war, darüber gesprochen, wie sich sein Leben wohl ändern würde, als “First Husband”. Bei den First Ladys ist es doch so, daß sie sich für irgendwelche sozialen Projekte engagieren, die Schirmfrauschaft übernehmen in Kampagnen für Mütter mit Kind, Helmpflicht bei Fahrradfahrern und so weiter.

“Und du?” habe ich meinen Nachbarn gefragt. “Wofür würdest du dich einsetzen? Leukämiekranke Rentiere? Solar beheizte Iglus?” Da mußte Carlo lachen. “Ich würde”, sagte er nach einigem Überlegen, “Professor werden und für eine geistige Liberalisierung des Alkohols eintreten.” Ich: “Was?” Er: “Glaub es oder nicht. In Finnland gibt es Alkohol nur in staatlichen Läden zu kaufen.”

Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Vergangen Sonntag konnte Heidi, seine Freundin, zu den finnischen Präsidentenwahlen, bei denen sie für Grünen angetreten ist, leider nur einen respektablen vierten Platz belegen.

Kirjoittaja: Karsten Krampitz

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